Kallmann-Syndrom (olfaktogenitales Syndrom)
Das Kallmann-Syndrom - ein Hormonmangel mit weitreichenden Folgen.
Was das Kallmann-Syndrom ist
Nach dem deutsch-amerikanischen Psychiater und Genetiker Franz Josef Kallmann, der von 1897 bis 1965 lebte, ist ein Syndrom benannt, bei dem es sich zum einen um eine angeborene Störung des Geruchssinns handelt. Von einem Kallmann-Syndrom ist aber erst dann die Rede, wenn die Verminderung oder gar das komplette Fehlen des Geruchssinns in Verbindung mit einer Unterfunktion der Hoden (bei Männern) oder der Eierstöcke (bei Frauen) auftritt. Die Ursache liegt in einer Fehlfunktion bestimmter Nervenzellen im Gehirn, welche im Normalfall Hormone erzeugen. Wenn sie dazu aber aufgrund der Fehlfunktion nicht in der Lage sind, macht sich das bereits in der Pubertät bemerkbar. Die Hoden beziehungsweise die Eierstöcke - und eben auch der Riechkolben - können sich dann nicht richtig entwickeln.
Die Folgen des Kallmann-Syndroms
Die möglichen Folgen für die vom Kallmann-Syndrom betroffenen Männer sind vielschichtig. Auch zahlreiche Begleiterscheinungen können im Laufe der Zeit auftreten: von der Erkrankung an Osteoporose bis zu einer Schädigung des Hodens. Eine Behandlung des Kallmann-Syndroms ist möglich, wichtig für die Erfolgsaussichten ist wie so oft eine möglichst frühzeitige Erkennung. Das Kallmann-Syndrom – das in spanischsprachigen Teilen der Welt auch als „Sindrome de Maestre-Kallmann-Morsier“ bekannt ist - tritt bei Männern deutlich häufiger auf als bei Frauen. Während bei Frauen lediglich eine Erkrankte auf 50.000 Gesunde kommt, ist es bei Männern immerhin ein Erkrankter bei 10.000 Gesunden.
Anzeichen des Kallmann-Syndroms
Als wichtigster und zunächst auch einfachster Hinweis auf die Erkrankung gilt ein stark eingeschränkter bis fehlender Geruchssinn. In etwa 30 Prozent dieser Fälle tritt zusätzlich eine Störung der Hoden- beziehungsweise Eierstockfunktion auf, so dass vom Kallmann-Syndrom gesprochen werden kann. Sollte das Kallmann-Syndrom bei einem Kind noch nicht erkannt worden sein, werden spätestens in der Pubertät die weiteren Symptome deutlich. Die Pubertät bleibt aus oder verzögert sich; konkret fehlt die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale, zu denen bei Männern der Stimmbruch, die vermehrte Körperbehaarung und der Bartwuchs gehören. Zudem können bei Jungs hochstehende Hoden auftreten. Bei Frauen, die vom Kallmann-Syndrom betroffen sind, bleibt in der Pubertät die Entwicklung der Brüste und der Schambehaarung aus. Auch zur Regelblutung kommt es nicht (Amenorrhoe).
Alle diese Symptome werden durch einen Hormonmangel ausgelöst, bei dem das luteinisierende Hormon (LH) und das Follikel-Stimulierende Hormon (FSH) vermindert sind. Die Geschlechtshormone Testosteron (männlich) und Östrogen (weiblich) befinden sich auf einem vorpubertären Niveau.
Körperliche Folgen des Kallmann-Syndroms
Osteoporose
Mit dem Kallmann-Syndrom können auch noch einige Begleiterscheinungen einhergehen. An erster Stelle ist Osteoporose zu nennen, also eine Erkrankung des Skeletts, bei der die Knochen an Festigkeit verlieren und leichter brechen. Hintergrund ist, dass die Sexualhormone Testosteron und Östrogen wichtige Faktoren für die Knochenstruktur des Menschen sind. Ab dem mittleren Lebensalter nehmen die Knochen des Menschen langsam an Masse ab, was aber im Normalfall durch den Aufbau von ausreichend Knochenmasse wieder ausgeglichen werden kann. Besteht allerdings ein Mangel bei den Sexualhormonen – ausgelöst zum Beispiel durch das Kallmann-Syndrom - kann dies dazu führen, dass der erforderliche Ausgleich nicht in ausreichendem Maße stattfindet und somit die Knochen poröser werden.
Blutarmut
Durch einen vom Kallmann-Syndrom ausgelösten Hormonmangel kann auch eine Blutarmut (sekundäre Anämie) eintreten. Die am weitesten verbreiteten Symptome einer Blutarmut sind eine blasse Haut und vor allem Gesichtsfarbe sowie eine allgemeine Körperschwäche und schnelles Ermüden. Denn Blutarmut verursacht eine Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff. Weil der Körper aber einen bestimmten Sauerstoffbedarf hat, versucht er diese Lücke mit einem erhöhten Herzschlag oder einer schnelleren Atmung auszugleichen.
Lageanormalie der Hoden
Wenn das Kallmann-Syndrom bereits im Kleinkindalter auftritt, kann dies Lageanomalien der Hoden zur Folge haben. Durch eine Lageanomalie besteht ein erhöhtes Risiko für bösartige Erkrankungen des Hodens. Bis zum zweiten Geburtstag sollte der Hoden in den Hodensack gewandert oder – wenn erforderlich - dorthin verlegt worden sein, um eine spätere Fehlfunktion der Spermienbildung zu vermeiden.
Gynäkomastie
Eine weitere mögliche Begleiterscheinung des Kallmann-Syndroms ist beim Mann eine Vergrößerung der Brustdrüsen (Gynäkomastie). Auslöser auch hier ist der nicht ausbalancierte Hormonhaushalt.
Abweichende Körperproportionen
Eine noch drastischere Folge als die Vergrößerung der männlichen Brustdrüsen kann sein, wenn es durch das Kallmann-Syndrom auch insgesamt zu einer abweichenden Körperproportionen kommt. Weil unter anderem durch die Sexualhormone der Wachstumsprozess der großen Knochen abgeschlossen wird, können bei einem Mangel der Sexualhormone ein Hochwuchs oder verhältnismäßig zu lange Extremitäten auftreten. Dies ist meist für den Laien kaum sichtbar und kosmetisch auch gar nicht störend, birgt aber im höheren Lebensalter Risiken für orthopädische Probleme.
Verminderter oder fehlender Geruchssinn
Nicht unterschätzt werden dürfen außerdem die Folgen, die ein verminderter oder komplett fehlender Geruchssinn haben können. So besteht bei Betroffenen zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für Lebensmittelvergiftungen. Weiterhin können gefährliche Situationen später erkannt werden, etwa bei einem ausgebrochenen Feuer.
Psychologische Folgen des Kallmann-Syndroms
Vor allem im Fall einer (zu) spät gestellten Diagnose und somit auch zu spät begonnenen Therapie kann es durch das Kallmann-Syndrom zu psychologischen Komplikationen kommen, welche sich dann auf das gesamte Leben der Betroffenen beziehen.
Durch das Ausbleiben oder die Verzögerung der Pubertät kann bei den Erkrankten das Selbstwertgefühl stark leiden und somit dazu führen, dass diese Personen zu exzessivem Rauchen, Alkoholkonsum oder auch Workaholismus (Arbeitssucht) neigen. Zudem sind Stimmungsschwankungen und psychosomatische Beschwerden mögliche Effekte der langsameren Entwicklung im Vergleich zu gleichaltrigen Gesunden. Erschwerend können auch noch kränkende Bemerkungen sowie ein allgemeines Unverständnis durch Mitmenschen hinzukommen. In vielen Fällen entstehen hierdurch eine lebenslang anhaltende Verminderung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens sowie Schwierigkeiten mit der Intimität und Sexualität, woraus sich nicht selten eine Depression entwickeln kann.
Durch die Substitutionstherapie und die hierdurch bedingten schwankenden Hormonspiegel kommt es ebenfalls zu Stimmungsschwankungen. Mittlerweile kann dies aber beispielsweise mit Hilfe von Retardpräparaten abgefedert werden.
Was sind Ursachen für das Kallmann-Syndrom?
Das Kallmann-Syndrom wird verursacht durch eine Mutation, welche bewirkt, dass die Nase nicht oder nur mangelhaft ausgebildet wird, was einen fehlenden oder unzureichenden Geruchssinn zur Folge hat. Zusätzlich funktionieren bestimmte Nervenzellen nicht, die der Ausschüttung von Releasing-Hormonen (Gonadoliberinen) dienen.
Diese Releasing-Hormone bewirken bei normaler Funktion die Ausschüttung des Follikel-Stimulierenden Hormons (FSH) und des Luteinisierenden Hormons (LH), welche die Bildung der Spermien sowie die Testosteronausschüttung (bei Männern) beziehungsweise des Menstruationszyklus (bei Frauen) steuern. Durch das Ausbleiben dieser Funktion wird die normalerweise mit der Pubertät einsetzende Testosteronproduktion und die Reifung der Hoden/Eierstöcke verhindert, wodurch in der Folge auch keine sekundären Geschlechtsmerkmale ausgebildet werden.
Die Erkrankung am Kallmann-Syndrom kann auf unterschiedliche Arten vererbt werden. Dies sollte berücksichtigt werden, sobald ein Anfangsverdacht besteht. Eine Neumutation, also eine Erkrankung ohne erbliche Vorbelastung, ist aber ebenso möglich.
Wie erfolgt die Diagnose des Kallmann-Syndroms?
Die Diagnostik des Kallmann-Syndroms konzentriert sich vor allem auf die Feststellung des verminderten beziehungsweise fehlenden Geruchssinnes und die Ermittlung der hormonellen Fehlfunktion. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass das Fehlen des Geruchssinnes den Betroffenen häufig gar nicht bewusst ist. Bereits im Neugeborenenalter können sich erste Zeichen des Syndroms manifestieren, wovon aber keines beweisend für die Erkrankung ist. Eine Lageanomalie der Hoden nach der Geburt - wie zum Beispiel ein Leistenhoden - kann ein Hinweis auf die Dysfunktion der hormonellen Achse sein. Ein weiteres Indiz kann das Ausbleiben eines kurzfristigen Testosteronanstiegs sein, der bei Neugeborenen nach der Geburt normalerweise auftritt.
Sobald es einen Verdacht auf das Kallmann-Syndrom gibt, bedingt vielleicht auch durch ein familiäres Risiko, sollte auch schon im jungen Kindesalter eine Magnetresonanzthomographie (MRT) gemacht werden. Bei dieser kann ein mögliches Fehlen des Riechkolbens (Bulbus olfactorius) festgestellt werden.
Ab einem Alter von fünf Jahren ist es möglich, eine Riechprüfung durchzuführen, bei der mit Hilfe reiner Geruchsstoffe der Geruchssinn überprüft werden kann. Grundsätzlich sollte bei der Verzögerung oder dem Ausbleiben der Pubertät immer auch daran gedacht werden, dass das Kallmann-Syndrom eine Ursache dafür sein könnte. Eine entsprechende Abklärung kann durch einen Spezialisten erfolgen.
Behandlungsmöglichkeiten beim Kallmann-Syndom
Die beiden wichtigsten Pfeiler der Therapie des Kallmann-Syndroms sind die Hormonsubstitution (Ersatz der fehlenden Hormone) und die Osteoporoseprophylaxe. Die Hormonsubstitution findet mit den jeweiligen Geschlechtshormonen Testosteron (bei Männern) oder Östrogen/Progesteron (bei Frauen) statt und kann in Form von Injektionen, Gelen oder Pflastern erfolgen. Sie bewirkt, dass trotz der Erkrankung eine „normale“ Pubertät stattfinden kann und die Betroffenen sich altersentsprechend entwickeln können. Besteht ein Kinderwunsch, wird (wenn erforderlich) eine Substitution mit FSH und LH durchgeführt, um eine normale Spermato- beziehungsweise Oogenese zu erreichen.